Vergangenheit und Zukunft der Forschung an vernachlässigten Tropenkrankheiten

Welttag gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten 2025

Berlin, 30. Januar 2025 – Anlässlich des Welttags gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten, in der letzten Sitzungswoche des Deutschen Bundestags, betonte Dr. Georg Kippels MdB, Sprecher des Parlamentarischen Beirats gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten und dienstältestes Mitglied im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das Engagement der Abgeordneten bei der Bekämpfung dieser Krankheiten. Besonders hob er die langjährige Unterstützung von Prof. Dr. Andrew Ullmann und Prof. Dr. Helge Braun hervor.

Beim Kamingespräch des Deutschen Netzwerks gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten standen zwei bedeutende Jubiläen im Mittelpunkt: Der 200. Geburtstag von Theodor Bilharz und das 125-jährige Bestehen des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin in Hamburg.

Prof. Dr. August Stich, Chefarzt für Klinische Infektiologie am Universitätsklinikum Würzburg, spannte einen historischen Bogen vom ersten Kontakt europäischer Entdecker mit indigenen Völkern im 16. Jahrhundert über den Kolonialismus bis hin zur Wahrnehmung tropischer Krankheiten als Bedrohung, die es zu bekämpfen galt – insbesondere im Hinblick auf die wirtschaftliche Ausbeutung der Kolonien. Er thematisierte zentrale Akteure wie Louis Pasteur und Robert Koch sowie die Rolle der tropical doctors damals und heute.

Dabei verwies er auf die langfristigen Folgen des Kolonialismus, darunter den vom globalen Norden verursachten Klimawandel. Kritisch stellte er fest: „Versteckt ist noch immer ein Stück Rassismus in uns“ und forderte ein ehrliches Bekenntnis zu dieser Verantwortung sowie konkrete Maßnahmen zur Wiedergutmachung – auch im Bereich der Tropenmedizin.

Er beleuchtete die Geschichte der Tropenmedizin und hinterfragte kritisch die Strategien zur Bekämpfung vernachlässigter Tropenkrankheiten. Zudem ging er auf die Rolle der Wissenschaft und der christlichen Mission ein, insbesondere im Kontext der Afrikanischen Schlafkrankheit und Bilharziose.

Angesichts aktueller politischer Herausforderungen in Deutschland, insbesondere der zunehmenden Abschottung gegenüber Migranten, schloss er mit einem afrikanischen Sprichwort: „Ich bin, weil ihr seid, und damit wir sind, bin ich.“

Prof. Dr. Jürgen May, Vorstandsvorsitzender des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin (BNITM) und Ehrenvorsitzender des DNTDs, thematisierte die aktuelle Debatte um den Namensgeber des Instituts, Bernhard Nocht (1857–1945). Vorwürfe, Nocht sei Rassist oder Nationalsozialist gewesen, wurden kritisch analysiert. 2022 beauftragte das Institut die Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg mit einem Gutachten. Parallel dazu entstand eine Biografie zu Hamburg (post)kolonialem Erbe. Beide Werke werden derzeit diskutiert, und eine mögliche Umbenennung des Instituts steht zur Debatte.

Dr. Gisela Schneider, Direktorin des Deutschen Instituts für Ärztliche Mission (Difäm) in Tübingen, reflektierte die Verantwortung der Kirche in der Kolonialzeit und sprach über die Notwendigkeit, dass alle Menschen ein gleiches Recht auf Gesundheit haben. Sie betonte, dass heutige Ansätze auf Community Empowerment setzen und das zivilgesellschaftliche Engagement gewachsen sei. Zudem thematisierte sie die aktuelle schwierige Situation in Goma/DR Kongo und die Perspektivlosigkeit der dortigen Zivilbevölkerung.

Dr. Julien Alban Nguinkal, Bioinformatiker am BNITM, stellte die Chancen künstlicher Intelligenz in der Forschung vor. Er diskutierte, wie koloniale Forschungsstrukturen überwunden und Daten in Ländern des Globalen Südens in Echtzeit gesammelt und Forschenden vor Ort zugänglich gemacht werden können. Häufig dürften Forschungsergebnisse erst mit der Veröffentlichung der dazugehörigen Studien veröffentlicht werden, wodurch wertvolle Erkenntnisse den Forschenden vor Ort nur mit Verzögerung zur Verfügung stehen. Künstliche Intelligenz, wie ChatGPT, müssten mit Daten trainiert werden und nicht nur mit „westlichen“ Daten des globalen Nordens gefüttert werden. Er betonte die Notwendigkeit, lokale Akteure und Gesundheitsbehörden einzubinden und gezielt zu schulen.

Dr. Sophie Schneitler, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin, Reisemedizin und Globale Gesundheit e.V. (DTG), stellte eine Untersuchung zur Diskussion, ob der Begriff „Tropenmedizin“ noch zeitgemäß sei. Forschende aus dem Globalen Süden und Norden wurden dazu befragt. Die zentrale Botschaft aus dem Süden lautete: „Ihr kümmert euch um seltsame Dinge, wir arbeiten an den aktuellen medizinischen Problemen vor Ort.“ Sie wies darauf hin, dass die Verbesserung der medizinischen Ausbildung wichtiger sei als die Debatte um die Bezeichnung des Fachgebiets.

Die Veranstaltung wurde moderiert von Antonia Braus, stellvertretende Sprecherin des DNTDs, Referentin für One Health und wissenschaftliche Begleitung bei Tierärzte ohne Grenzen (ToGeV), sowie Dr. Dr. Carsten Köhler, Direktor des Kompetenzzentrums Tropenmedizin Baden-Württemberg am Institut für Tropenmedizin der Eberhard-Karls-Universität und des Universitätsklinikums Tübingen. Dr. Köhler ist zudem 1. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin, Reisemedizin und Globale Gesundheit e.V. s

Das Fazit der Veranstaltung lässt sich wie folgt zusammenfassen:

  1. Forschung und Ausbildung müssen an die aktuellen globalen Herausforderungen angepasst werden. Die medizinische Ausbildung sollte stärker auf vernachlässigte Tropenkrankheiten eingehen, insbesondere im Hinblick auf Migrationsmedizin.
  2. Internationale Partnerschaft und Capacity Building sind entscheidend für eine nachhaltige Bekämpfung vernachlässigter Tropenkrankheiten. Dabei müssen lokale Akteure in den betroffenen Ländern stärker eingebunden und weitergebildet werden.
  3. Technologische Innovationen wie Künstliche Intelligenz können helfen, Forschungsstrukturen zu dekolonisieren und Gesundheitsdaten in Echtzeit nutzbar machen.
  4. Privatwirtschaftliche Initiativen spielen eine zunehmende Rolle in der Entwicklung neuer Medikamente und Impfstoffe für betroffene Regionen.
  5. Die Debatte um historische Verantwortung zeigt, dass die koloniale Vergangenheit der Tropenmedizin weiterhin kritisch reflektiert werden muss. Dies betrifft nicht nur Institutionen wie das Bernhard-Nocht-Institut, sondern auch die gesamte Forschungslandschaft.

 

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