Drei Fragen zur Vorstellung der neuen WHO-NTD Roadmap 2030

++ Interview mit Prof. Dr. KH Martin Kollmann

Berlin, 21. Januar 2021 - Die WHO stellt den neuen Aktionsplan 2030 zur Bekämpfung der NTDs, der Ende letzten Jahres von der World Health Assembly angenommen wurde, der Öffentlichkeit vor. Neu ist insbesondere der integrative, sektorübergreifende Ansatz und die Betonung der Verantwortung der Länder, in denen die vernachlässigten Tropenkrankheiten endemisch sind.

Prof. Dr. KH Martin Kollmann, Gründungs- und Ehrenmitglied des DNTDs, Experte für vernachlässigte Tropenkrankheiten bei der Christoffel-Blindenmission (CBM) und CBM-Augenarzt erklärt, welche Veränderungen die neue WHO-NTD Roadmap mit sich bringt. Er lebt seit 1994 mit seiner Familie in Kenia.  

1 FRAGE: Die neue WHO-NTD Roadmap wird weltweit einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt, was ist das Neue?

Prof. Dr. KH Martin Kollmann: Zunächst einmal baut die neue WHO-NTD Roadmap 2030 auf den Erfolgen einer außergewöhnlichen Multiakteurs-Partnerschaft auf. Mit den Erfahrungen einer über Jahrzehnte gewachsenen Zusammenarbeit z.B. in der Flussblindheits- und Trachom-Bekämpfung hat sich diese Koalition aus Landesprogrammen, Implementierungspartnern, Forschungsinstitutionen, dem Pharmasektor und von der Krankheitslast betroffenen Gemeinden 2012 mit der „London Declaration“ gemeinsame Ziele auf dem Weg zur weltweiten Kontrolle und Eliminierung von NTDs gesetzt.

Im Ergebnis haben bis 2020 bereits 42 Länder eine oder mehrere der von der WHO als NTDs definierten 20 Tropenkrankheiten eliminiert. Zu diesen beeindruckenden Fortschritten haben nicht zuletzt umfangreiche und langjährige Medikamenten-Spenden forschender Pharma-Unternehmen beigetragen, zudem innovative Ansätze zivilgesellschaftlicher Hilfsorganisationen. Allerdings waren viele Interventionen in der Vergangenheit im Wesentlichen auf einzelne Erkrankungen fokussiert und haben dabei Wechselwirkungen sowie überschneidende Krankheitslasten und gemeinsame Interventionsmöglichkeiten zu wenig in den Blick genommen. Dabei konnte schon gezeigt werden, dass NTD-Interventionen auch systemische Wirkungen haben, wie die Gabe von Antibiotika bei der Trachom-Behandlung, die auch gegen andere Infektionen wirken und dadurch die krankheitsbedingte Mortalität gerade bei Kindern insgesamt senken können.

Eingebunden in die UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs) vollzieht die WHO nun mit der neuen Roadmap 2030 eine bemerkenswerte Kurskorrektur. Mit diesem Paradigmenwechsel sollen gewachsene und neue NTD-Partnerschaften für das Erreichen der ehrgeizigen Ziele besser koordiniert und zusammengebracht werden.

Dabei kommt der Betonung von gemeindezentrierten Ansätzen zu Recht zentrale Bedeutung zu: von NTDs betroffene Menschen müssen systematisch sowie von Anfang an aktiv und inklusiv in die Planung, Durchführung und Evaluierung von Programmen eingebunden werden.

Dies geht einher mit einer Schwerpunktverlagerung hin zu ganzheitlicheren und sektorübergreifend angelegten Programmen. So hebt die WHO-Roadmap ausdrücklich die Bedeutung einer vertieften Zusammenarbeit mit dem WASH-Sektor hervor, wie auch die Notwendigkeit, verstärkt One Health-Ansätze zu verfolgen.

2 FRAGE: Welche Rolle spielen alte und neue Partner bei der Umsetzung der Strategie?

Prof. Dr. KH Martin  Kollmann: Die neue NTD-Roadmap 2030 baut auf den bisherigen Erfolgen und bestehenden Partnerschaften auf. Dazu gehören z.B. krankheitsspezifische Koalitionen mit ihrer technischen und programmatischen Expertise, ebenso wie diverse vom Pharmasektor unterstützte Medikamenten-Spendenprogramme.

Aber wir müssen unsere Anstrengungen in vielen Bereichen gehörig verstärken, um unsere ambitionierten Ziele – die Eindämmung aller 20 NTDs – tatsächlich erreichen zu können. Wir benötigen mehr Medikamentenspenden und müssen die Verteilungsstrukturen und begleitenden Gesundheitsmaßnahmen ausweiten. Und wir benötigen verstärkte Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen für zusätzliche innovative Diagnostika und Wirkstoffe.

Darüber hinaus ist es für die Umsetzung der neuen NTD Roadmap 2030 unabdingbar, neue Partner einzubeziehen, etwa aus den Bereichen WASH (Wasser-, Sanitär und Hygieneversorgung) sowie One Health mit den wichtigen Schnittstellen zwischen Menschen, Tieren und ihrer gemeinsamen Umwelt. Aber wir sollten auch Partnerschaften zu weiteren Gesundheitsakteuren vertiefen, wie der HIV-/AIDS-, Tuberkulose und Malaria-Community. Die Zusammenhänge zwischen NTDs, Stigma und mentaler Gesundheit liegen ebenfalls auf der Hand. Eine systematische Behandlung erfordern auch andere durch NTDs hervorgerufene oder verstärkte Krankheiten, wie die weibliche Genital-Bilharziose, die das Risiko von HIV-Infektionen für die betroffenen Frauen und Mädchen massiv erhöht.

3 FRAGE: Was sind die großen Herausforderungen in den kommenden zehn Jahren?

 Prof. Dr. KH Martin Kollmann: Entscheidend für den Erfolg bis 2030 wird sein, wie durch effektives Zusammenführen bisher oft getrennter, nebeneinander laufender Programme größere Effizienz und Nachhaltigkeit erreicht werden kann; wie durch das systematische Einbinden von NTD Programmen in allgemeine Gesundheits- und Entwicklungssysteme Kongruenzen geschaffen und lokale Ressourcen gestärkt werden können; und wie die zu erwartenden Herausforderungen der „letzten Meilen“ gemeistert werden.

Dies schließt insbesondere ein, lokale Antworten für besonders von Armut und Krisen erschütterte Länder und Regionen zu finden, die erhöhten Kosten bei abnehmenden Fallzahlen zu schultern, die mit zunehmendem Erfolg vermutlich abnehmende Investitionsbereitschaft von nationalen Regierungen und internationalen Spendern zu überwinden, und mögliche Probleme wie z.B. Resistenzentwicklungen zu meistern.

Foto: ©CBM/argum/Einberger

 

 

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